HINTERGRUNDINFOS ZU DEN FILMEN
ODESSA MAMA
Die heutigen Lebens-Verhältnisse einer 86-jährigen Odessitin werden geschildert (u.a. Wasser-Knappheit, karge Lebens-Verhältnisse) sowie ihr bewundernswert lakonischer Umgang damit.
Streiflichter fallen auf die soziale und politische Situation der Ukraine und die Biografie der Hauptperson. Sie war mit einem in der UdSSR verbotenen Schriftsteller verheiratet, verbrachte 10 Jahre in einem sibirischen Straflager unter Stalin.
Der Zuschauer begleitet die Hauptperson u.a. zu einer Bürger-Initiative, auf den Friedhof und zu einem Journalisten, der in seiner Wohnung eine private Bibliothek und Galerie aufbaute.
Auch das Stadt-Umfeld der Odessitin rückt ins Blickfeld, mit Stadt-historischen Erläuterungen.
DREHBUCH
Als ich noch auf Wolke 7 saß und nach einem Ort Ausschau hielt, an dem ich zur Welt kommen wollte, fiel meine Wahl auf Odessa. Die schon seit ihrer Gründung multikulturelle Stadt ließ ihren Bewohnern ungewöhnlich viel Freiheit und Buntheit. Sie zog neben Kaufleuten Künstler, Abenteurer und Ganoven besonders an. In der mediterran wirkenden Stadt ließ es sich nach den Worten des Dichters Isaac Babel leicht und hell leben. Deshalb wurde Die Schwarzmeerstadt dankbar Odessa Mama genannt und in Liedern und Skulpturen verewigt. Bekannt wurde die Hafenstadt durch Humor, Schlitzohrigkeit und freche Lieder.
Im Alter von 3 Jahren musste ich meine Geburtsstadt verlassen. Meine Mutter, eine Russland-Deutsche, floh mit mir nach Deutschland, wo wir 2 Jahre später ankamen.
Auch Galina Victorowna entschied sich auf Wolke 7 für Odessa.
(Landkarte, Lock)
Ich steige aus dem Zug (Ich komme mit der Bahn), um Galina zu besuchen.
Der im Krieg zerstörte Bahnhof wurde rekonstruiert. Odessa war von 1941-44 von deutschen und rumänischen Truppen besetzt..
Im Bus fährt mir die Stadt mit einem Gemisch von Farben-Reichtum, Armut und verschlissenem Prunk entgegen.
Odessa hat etwa 1 Million Einwohner, wurde 1794 von Katharina der Großen gegründet. Die Stadt besitzt neben einer Universität und 13 Hochschulen traditionsreiche Filmstudios, 6 Theater.
Der Eingang zu Galinas Hof.
Bei ihr werde ich die nächsten Tage wohnen.
Galina verbrachte fast ihr ganzes Leben in Odessa, bis auf die 10 Jahre Straflager unter Stalin. Als Stalin starb, erzählt sie, ging durch die Lager das Lauffeuer: „Er ist verreckt!“
In Odessa herrscht Wasserknappheit. Wir haben Glück, denn Galina wohnt im Erdgeschoss. Da ist der Wasserdruck meist noch ausreichend. Ab dem 1. Stock gibt es nur wenige Stunden am Tag fließendes Wasser.
Als wir uns nach der Reise waschen wollen, werden wir in das Geheimnis der 3 Wassertöpfe auf dem Herd eingeweiht. Ungekocht soll man Leitungswasser nicht trinken. Bei Galina wird das Trinkwasser filtriert und abgekocht. Neben einem Topf mit heißem und einem Topf mit abgekühltem Trinkwasser steht auf dem Herd meist noch ein Topf mit heißem Waschwasser. Sie erklärt uns ihr Filtersystem.
Das Filterwasser soll langsam laufen. Dann hat es mehr Zeit, gut zu filtern. Der Druck ist so niedrig, weil überall die Wasserrohre platzen. Sie sind zu alt. Das Wasser rinnt in die Erde. Aber die Regierung kümmert sich nicht darum. Genauso wenig wie um die Arbeitslosigkeit und die medizinische Versorgung. Wenn Du zum Arzt gehst, heißt es, er betreut Dich umsonst. Er wird ja vom Staat bezahlt. Doch sein letztes Gehalt hatte er, wenn er viel Glück hatte, vor einem halben Jahr bekommen. Er behandelt Dich also nur, wenn Du ihm Geld gibst. So ist es überall. Für uns Bürger ist kein Geld da. Aber der kleinen Schicht der Reichen geht es jedes Jahr besser. Die alten Seilschaften sind weiter an der Macht. Sie denken nur daran, Geld für sich selbst beiseite zu schaffen. Die Maffia hilft ihnen. Auch bei den Wahlfälschungen. Deshalb sind sie nicht abwählbar. Die Ukraine ist die Kornkammer der Region. Die Märkte sind voller Waren. Wir haben herrliches Obst und Gemüse. Aber wer kann es sich kaufen? Die kleinste Rente beträgt 40 Grievna, das sind 20 Mark, 10 €. 30 % der Bevölkerung hat AIDS, ist Wodka- oder Drogen-süchtig. Galinas Rente ist etwas höher. Weil ich ein rehabilitierter Sträfling bin, deshalb bekomme ich auch das Gas umsonst.
Wir fahren an den Strand, mit der häufig und zuverlässig verkehrenden Straßenbahn. Die ganze Stadt ist ein Basar. An den meisten Kreuzungen stehen oder sitzen Menschen, meistens ältere Männer und Frauen, die Kleinigkeiten zum Verkauf anbieten.
Die schönsten Häuser gehören auch hier meistens Banken.
Wir schlagen vor, mit dem Schiff in die Stadt zurückzufahren. Siehst Du denn irgendwo ein Passagierschiff? fragt Galina. Sie wurden alle verkauft, hier verkehren gar keine öffentlichen Schiffe mehr.
Galinas Wohnung ist geräumig. Unter dem Deckchen ist das Telefon. Hier wohnte sie mit ihrem Mann und lange Jahre mit ihrer bettlägigen Mutter zusammen. Hier findet sie sich noch gut zurecht, seit sie schlecht sieht und unsicher zu Fuß ist. Hier kennt sie jeden Griff. Sie will deshalb keine neuen Gebrauchsgegenstände. Ihr Mann war ein fantasievoller, warmherziger und cholerischer Patriarch. Seine Cholerik hatte Ihn und Galina ins Unglück gestürzt. Im Zorn nicht reflektiertes Verhalten zur Stalinzeit brachte ihm die Verurteilung zu 15 Jahren Haft in Gulag ein, mit Arbeit unter Tage. Galina wurde in Sippenhaft zu 12 Jahren Straflager verurteilt. Nach 11 Jahren haft wurden beide rehabilitiert und entlassen – kurz nach Stalins Tod. Es war nur eine sog. Rehabilitation, denn als Ex-Sträfling durfte Galina nicht mehr in ihrem Beruf als Englisch-Lehrerin arbeiten. Sie mußte weniger qualifizierte, weniger interessante Arbeiten verrichten. Galinas Mann – mein Vater – starb ein Jahr vor Tschernobil. Sein Zimmer ist noch unverändert. Nach seiner Entlassung aus dem Lager hatte er anfangs Glück. Er durfte Studenten unterrichten, war bei ihnen beliebt, freute sich selbst auf diese Arbeit. Sein Chef hielt viel von Ihm, verheimlichte vor der Öffentlichkeit, dass er Ex-Sträfling war. Doch mein Vater blieb ein Brausekopf. Es kam der Tag, an dem er dem extrem arbeitsscheuen Chef die Meinung blies – und entlassen wurde. Als ich ihn und Galina 1977 in Odessa kennen lernte, war dieser Patriarch mit meinem ungebundenen Leben natürlich nicht einverstanden. Schon einen Tag später begann er damit, mich ledigen Männern seines Bekanntenkreises vorzustellen.
Einen Großteil seiner Freizeit verbrachte er mit Schreiben.
Ein Friedhof, auf dem viele Stalin-Opfer liegen. Wir besuchen das Grab meines Vaters. Galina verbrachte ein halbes Leben damit, ihn zu verstehen, zu besänftigen, ihn zu überlisten.
Viele Leute schneiden die Blumen direkt unter der Blüte ab. Sonst werden die Blumen häufig gestohlen und erneut verkauft.
Ein Nachbargrab.
Auf diesem Grab liegt ein Arztkittel. Er gehört dem berühmten Augenarzt Filatow.
Hier sind Künstler begraben, vor allem Schauspieler und Sänger.
Hier liegt ein Maffia-Boss unter der Erde. Deshalb wagt es niemand, die goldene Statue zu stehlen.
Wir sind eingeladen bei dem Journalisten Sergej Sernonowiz Lustchek. Galina hat mit ihm die Manuskripte meines Vaters gesichtet und archiviert. Daraus stellten beide einen Gedichtband zusammen. Sein Titel ist: Seligkeiten der Verzweifelung. In den Karteikästen archiviert Sergej Sernonowiz die wichtigsten Künstler der letzten 50 Jahre mit ihren Werken, in Eigeninitiative, sehr sorgfältig. Sergej Sernonowiz sammelt auch Bilder.
Ebenfalls in Eigeninitiative baute eine engagierte Gruppe einen verfallenen Keller aus. Hier errichtete diese Bürgerinitiative eine Gedenkstätte für Künstler und Wissenschaftler, die unter Stalin getötet oder verhaftet wurden. Als in einem Kulturzentrum zum ersten Mal aus dem Gedichtband meines Vaters vorgelesen wurde, hörten etwa 100 Gäste zu. Das Fernsehen und Zeitungen berichteten darüber. Galina bekam Rosen. „So viel Trubel“, meinte sie. „Ich kam mir vor wie eine Geistererscheinung!“
In dieser Kollage verwandeln sich unter Stalins Blick die Sandkörner der Sanduhr in Totenschädel.
Vorbei an der Potemkin-Treppe gehen wir ein letztes Mal über den Meeresboulevard. „Im Frühling grünen die Statuen auf dem Meeresboulevard“, dichtete mein Vater. Am Ende des Boulevards steht Puschkin.
Die Abschiedsfeier. Schon seit Jahren ließ sich Galina nicht ins Ausland einladen. „Zum Reisen bin ich zu alt.“
Beim Abschied sagt Galina: „Ich spüre, der Tod macht mir schöne Augen. Er errät die richtige Zeit.“ Seine Einladung hat Galina angenommen.
WEITERE INFOS
Die Prachtstraße ist benannt nach dem Neapolitaner Don Joseph Deribas. 1989, 2 Monate nach Beginn der französischen Revolution, eroberten die Russen unter dem Kommando von Deribas eine türkische Festung. An diesem Ort wurde 5 Jahre später Odessa gegründet. Deribas wurde ihr erster Bürgermeister. Er leitete die Blütezeit Odessas ein, erreichte. Deribas hatte spanische und irische Vorfahren, wuchs in Italien auf, arbeitete in Russland. Seine Weltoffenheit vererbte er quasi Odessa.
Nach Deribas war vor allem Herzog Richelieu, ein Bruder des Kardinals, ein wichtiger Bürgermeister, ab 1803.
OREST
Er schrieb vorwiegend Gedichte. Vor der Haft wurden sie häufig in Zeitungen gedruckt. Er kannte Schriftsteller wie Pasternak und Majakowski persönlich.
Nach der Haft stand er auf der schwarzen Liste, durfte in der Sowjetunion nichts veröffentlichen.
nachdem er 135 Tage in der Todeszelle gesessen hatte. Seine Texte wurden verbrannt.
Amnestie.
HERR PST
Das Thema „Herbst“ in einer sehr persönlichen, experimentellen Sichtweise. In Text und Bild lyrische Herbst-Impressionen. Dabei teilt ausschließlich HerrPst (Herr Pst) seine Gedanken über sich selbst und seine menschlichen Gäste mit.
FILMTEXT
Herbstimpressionen
HerrPst gibt zu bedenken:
die Gedankenflüge, zu denen du deine Mitmenschen verlockst, tragen euch fort – ins Kosmische und Globale. So bemerkt ihr sie nicht einmal: meine Open-Air-Galerie, die eure Füße durchwandern: die einzige, die global Impressionismus und Expressionismus verschmilzt, Riesengoldregen mit Wangenrot naturgetreu offeriert.
Ich vereine weltweit noch mehr Gegensätze:
Mein Kommando lautet „Feuer“. Doch mich bekämpfte noch kein Pazifist.
Meine Bäume haben das Outfit von Majestäten – und doch modern legeren Flatter-Loder-Look. Bis in die Blattlaus-Spitzen reicht ihr Schmuck aus modisch verschlissenen Sonnenstrahl-Depots.
Alljährlich im November schielt eure Bekleidungs-Industrie neidisch auf meine Objekte: Meine ganze Garderobe wandert dann in den Müll – umwelt-verträglich. Kollege Frühling verheißt brandneue Ware und liefert pünktlich, ohne Lastwagen-Staus.
Pst –
meine Sight-Seeing-Tours laden Voyeure privatissime und verschwiegen ein zum Liebesspiel der Farben. Ich garantiere: Orgien für das Sehzentrum, mit Blickkontakt-Orgasmus und Netzhaut-Heroin.
Nichtsdestotrotz kommen bei mir auch die Frommen unter euch auf ihre Kosten: Euch baue ich luftige Kathedralen mit Windorgeln und Lichtchören. Jeder Blick ein Feiertag! Blatt um Blatt kündet vom Weltenbrand. Wie Vogelschwärme ziehen sie euch voraus ins Nirgends – mit Grandezza, sterbende Schwäne.
Sogar mich nimmt es mit, wenn ich sehe, wie sehr unsere Sonne mitleidet. Sie setzt ihre Edelstoff-Akupunktur nur noch ab und zu. Ihre Erotik schrumpft zum süchtig machende Kuss des Verschwindenden.
Wie weltweit trösten auch in meiner Galerie die Kinder am besten: „Mama, die Blätter wollen verreisen, darum werden sie Schmetterlinge.““
POLITIKERLIEBE - ZU STÜHLEN
POLITIKERLIEBE
zu Stühlen – ein Beispiel
Chrissiwolf, was machst du?
Ich gucke
Einfach so?
Hm!
Soll ich die Vorhänge aufmachen?
Nein, nein, ich will gucken und nicht –
nicht was?
nicht beguckt werden.
Hier hast du den Feldstecher.
Danke.
Du hast heute noch keine Zeitungen gelesen, ich hol dir ein paar.
Nein, nein, bloß nicht!
Willst du nicht wenigstens fernsehen? Das solltest du!
Ach nein, danke!
Warum nicht?
Ich will was Anderes sehen, nicht immer mich.
Also, was willst du denn dann, es ist Feierabend?
Ich will einfach rausgucken.
Bloß so?
Hm.
Und was ist so schön am Rausgucken?
Dass ich sitze, dass ich drinsitze, noch immer drinsitze, genau hier.
HAUSMACHT - ODER REALPOLITIK DAHEIM
Sehr oft ist Politikern und Lobbyisten bekannt, was der Menschheit und der Erde guttut. Sie schreiben darüber, halten Reden, machen Versprechungen. Aus Machtinteresse ist das Handeln real aber sehr oft gegenteilig.
In so manchem kleineren Bereich passiert Ähnliches. Der Film zeigt ein Beispiel.
Für Szenen im Fernsehen wurde Material von Youtube und graswurzel-tv verwendet.
UND DIE SPREE WIRD VÖLLIG SAUER...
BANKBEZIEHUNGEN
DREHBUCH
Im FilmVorspann Fotos und Filmpassagen diverser Berliner Obdachloser
I
Roman schläft, 2 Plastiktüten unter dem Kopf, auf einer Bank.
Es klingelt unter seinem Kopf, er wacht nicht auf.
Julchen, auf einer Bank daneben schlafend, 1 Plastiktüte unter dem Kopf, wacht auf, schlurft eilig und zugleich schlaftrunken zu Roman, weckt ihn.
„Roman, Roman!“
J. hibbelig neugierig: „Das gefundene Handy?“
Roman lauscht. „Nein, Julchen, meins!“
Er wühlt das Handy aus der Tiefe des Beutels nach oben. Freudig und liebevoll ins Handy, wieder bequem liegend: „Hallo, Igelchen, wo bist du denn? Wieder Gedächtniskirche? Ach am Alex! Ich hab auch Sehnsucht, kann auch nicht schlafen, iss mir aber jetzt zu weit, iss ja schon dunkel! Morgen früh bin ich bei dir. Und besorg endlich die Scheidungs-Urkunde! Sonst läuft doch mein Visum ab! Schreib dir das hinter die Igelstirn, Zuckernixe! Einen ganz dicken, gute Nacht!“
Julchen steht noch neben Roman, legt von oben ihren Arm liebevoll um seinen Hals, seufzt enttäuscht: „Na gut, werdet glücklich!“
Sie entzieht ihm dann doch den Arm, in den er sich geschmiegt, hat, in plötzlichem Zorn so abrupt, dass sein Kopf gegen die Banklehne schlägt.
Er reibt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht, aber schuldbewusst den Kopf.
J: „Roman, gegen so eine, eine mit vierzig komm ich nicht an – klar!“ Kehrt wütend zu ihrer Bank zurück, setzt sich, wird wieder weich, ruft hinüber: „Ich gönn sie dir sogar.“
R. erstaunt und ärgerlich: „Julchen, du bist doch verheiratet.“
„Klar, ich geh ja auch bald zurück, morgen, morgen. Bestimmt lässt er mich schon suchen, der Alte, mit der Polizei.“
Roman erschrickt. „Polizei?“
“Und mit Radio und so!“
R. ängstlich: „Mit der Polizei?“
„Na klar, wer einfach so verschwindet – so ohne Nachricht! Weißt ja – nach dem Krach mit ihm: ein paar Sachen und raus! Endlich mal soll er nachdenken – kleine Warnung – erschrecken! Männer ändern sich nur so.
Und das wird erst ein Schock: Wenn er dich bei mir sieht – eifersüchtig wie der ist! Und so ein süßer wie du!“
Roman setzt sich ungeduldig auf. „Julchen, machs endlich! Seit ich dich kenne, versprichst du mir, mich bei euch zu Hause aufzunehmen! Oder ist das bloß Spaß?“
Er ist aufgesprungen, rennt zu ihr, legt, etwas drohend, etwas spielerisch seine Hände um ihren Hals.
Sie schmiegt sich in seine Hände, lehnt sich an ihn. „Nein, Roman, ich wollte dich besser kennenlernen. Bevor ich dich bei mir verstecke! Iss ja nicht so einfach – wegen ihm! Ja, morgen gehe ich nach Hause. Mit dir – ganz bestimmt!“
Roman setzt sich auf Julchens Bank. „Und Julchen, ich hab ich dir doch gesagt: Es ist wahr, wirklich wahr, du bist mir besser und lieber als Igelchen.“ – Ängstlich: „Dein Mann wird mich nicht rausschmeißen? Nicht verraten?“
Sie zuckt die Schultern.
R. sehr bewegt: „Egal wie – nach WeißRussland gehe ich nicht zurück – nie – nie! Julchen, – du weißt ja!“
„Was denn?“
„Ich weiß – ich habs dir gesagt!“
„Von dir merk ich mir jedes Wort, Roman.“
„Wer auf der Liste steht – “
„Welche Liste?“
„Ich stehe auf einer schwarzen Liste, zu Hause, aber ich kanns nicht beweisen. Die Listen sind ja geheim. Drum interessiert das hier keinen! Kein einziges dieser Ämter! Auch nicht, dass meine Schwester verschwunden ist, seit 2 Jahren verschwunden, die große: Mirka!“
„Du als Dolmetscher – dein gutes Deutsch – das reicht nicht, dass du bleiben darfst?“
Er schüttelt ärgerlich den Kopf, schreit: „Wie oft soll ich es dir noch sagen: „Nein!“
Er erschrickt über die eigene Lautstärke, springt auf, läuft hin und her, beruhigt sich, setzt sich wieder, streichelt Julchens Gesicht, erst düster, mit der Zeit lächelnd. „Darf ich mich bei dir in die Wanne legen, 5 Stunden lang, morgen?“
„Eine schöne Wohnung, die Welt von weit oben! Und alles Parkett. – Roman, wie alt bin ich eigentlich?“
„In deinem Pass steht: 69.“
„O Gott!“ (erschrickt)
Nach einer Pause: „Woher hast du eigentlich das Handy mit dem Glitzerstein?“
„Na gefunden, es lag auf der Straße.“
„Und wo?“
„Julchen, vor einer Riesenvilla am Schlachtensee, du warst doch dabei!“
„Ach ja, todschicke Villa! Das gibt Finderlohn, Roman, sonst kriegens sies nicht zurück! Mindestens dabei rausspringen muss einmal ins Kino mit dir – das muss dabei rausspringen. In eine Schnulze mit dir auf samtigem Plüsch! Zu Hause darf ich ja dann nicht mehr – der Alte ist berentet und immer da.“
II
Morgen-Sonnenstrahlen.
Roman und Julchen schlafen noch auf ihren Bänken.
Es klingelt erneut unter Romans Kopf, er wacht nicht auf.
Julchen steht wieder auf und weckt ihn, brummig: „Roman, dein Igel will frühstücken, was tischt du auf?“
„Nein, das ist gefundenes Handy, psst! – Ja bitte? Guten Tag! Wer? Ach ja, Herr Neubert!“
„Roman, Finderlohn! Lass lieber mich ran!“ Sie versucht ihm das Handy abzunehmen. Er weicht ihr, das Handy am Ohr, geschickt aus.
„Verzeihung, Herr Neubert, es ist hier so laut auf der Straße, ich geh kurz ins Haus!“ Er hält die Hand vor das Handy, flüstert Julchen zu: „Psst, das ist gar nicht der Handy-Besitzer!“
Julchen muss lachen, hält sich die Hand vor den Mund.
R: „ Hier bin ich wieder, Herr Neubert! Ja? Ja – Schuhmann, ja, selbst am Apparat, ja, richtig, Klaus Schuhmann. Was – die Probefahrt? Mit – mit dem Cabrio? Na endlich, ich warte und warte! Das rote? Natürlich – das rote, es hat mir am besten gefallen. Heute? Das ist gut. Augenblick – ich sehe gerade in meinem Kalender: Heute früh geht nicht, heute Abend hab ich Zeit, ab 18 Uhr. Sie schließen schon um 17? Wie dumm! Ich hätte es gern heute. Ich habe bis zum Abend zu tun.“ Er überlegt kurz. „Äh – im Kempinski. Eine Konferenz. Bringen Sie das Auto doch einfach zum Hotel, Kudamm, Kempinski. Die Schlüssel geben Sie beim Pförtner für mich ab. Man kennt mich dort. Freut mich, dass es Sie freut, Herr Neubert. Ich auch danke.“
Julchen hat in einiger Entfernung von Roman während des Telefonats weitergekichert, dabei Roman neugierig beobachtet, fragt am Ende beeindruckt: „Roman, woher kannst du eigentlich so gut Deutsch?“
„Ich schreib dir jetzt einen Zettel, ja?“
Er holt einen Zettel aus der Hosentasche und schreibt „Roman ist Dolmetscher“, steckt ihn in Julchens Hosentasche.
III
Roman und Julchen gehen in einem Altbau die Treppe hoch. Julchen versucht, eine Wohnungstüre zu öffnen, der Schlüssel passt nicht.
Eine jüngere Frau öffnet ärgerlich von innen her die Tür. „Was soll das schon wieder?“
J. perplex: „Ich wohne hier.“
F. zischend: „Wie oft soll ich es Ihnen noch sagen: Nein!“
J. ungläubig, zitternd, nach Luft ringend: „Aber seit 22 Jahren wohnen hier ich und mein Mann -“
„Frau Hempel, mit Ihrem Mann bin ich jetzt verheiratet, seit einem Jahr. Bitte gehen sie endlich zum Arzt!“
Julchen blickt die Frau entsetzt an, dreht sich, vollkommen verwirrt, zum Gehen um, zögert, rennt zurück, stellt einen Fuß auf die Schwelle, fragt atemlos: „Bin ich geschieden?“
„Ja.“
Julchen zieht den Fuß zurück. Die jüngere Frau schlägt die Türe zu.
Julchen bleibt noch eine Weile ratlos, mit gesenktem Blick stehen. Nach einer Weile hellt sich ihr Gesicht auf.
Roman und Julchen fallen sich in die Arme.
„Roman, wir gehen uns duschen. Willst du in die Badestube oder die Ostsee. Dort kommt der Mond durchs Meer geflogen, wenn man heiratet. Und nach dem Duschen Standesamt! Und ich teil mein Harz 4 nicht noch länger mit dir! Wenn der Papierkram unterschrieben ist, dann darfst. Ich krieg schon so lang keine Arbeit mehr! Hast du eine Ahnung, warum? Ich bin doch erst 49!“
R: „Mein Hochzeits-Geschenk an dich für eine ganze Nacht steht im Kempinski, komm!“
Er fasst sie an der Hand und zieht sie die Treppe hinunter.
IV
Beide stehen winkend im fahrenden roten Cabrio, zwischen winkenden Obdachlosen, nach einer kurzen Weile daneben der Filmabspann.